Diabetes Mellitus

Der Diabetes mellitus (DM) („honigsüßer Durchfluss“, griechisch διαβήτης, von altgriechisch διαβαίνειν diabainein, „hindurchgehen“, „hindurchfließen“ und lateinisch mellitus „honigsüß“) oder die Zuckerkrankheit ist die Bezeichnung für eine Gruppe von Stoffwechselkrankheiten und beschreibt deren ursprüngliches Hauptsymptom: Ausscheidung von Zucker im Urin. In der Antike wurde die Diagnose durch eine Geschmacksprobe des Urins gestellt, denn der Harn von Personen mit Diabetes weist bei erhöhtem Blutzuckerspiegel einen süßlichen Geschmack auf.

Diabetes-Typen nach den Leitlinien der DDG 2009[5]

Basierend auf dem Bericht der WHO-Kommission von 1999[6] geschieht die Klassifikation nach folgenden Kriterien:
  • Typ-1-Diabetes mellitus: Zerstörung der Betazellen der Langerhans-Inseln des Pankreas führt zum absolutem Insulinmangel.
  • Typ-2-Diabetes mellitus: Kann sich erstrecken von einer (genetisch bedingten) Insulinresistenz mit relativem Insulinmangel bis zu einem absoluten Insulinmangel im späteren Krankheitsverlauf. Er ist häufig assoziiert mit anderen Problemen des metabolischen Syndroms.
  • Andere spezifische Diabetes-Typen
    • Erkrankungen des exokrinen Pankreas (z. B. Pankreatitis, zystische Fibrose, Hämochromatose)
    • Endokrinopathien (z. B. Cushing-Syndrom, Akromegalie, Phäochromozytom)
    • Medikamentös-chemisch induziert (z. B. Glukokortikoide, Neuroleptika, Alpha-Interferon, Pentamidin)
    • Genetische Defekte der β-Zell-Funktion (z. B. MODY-Formen)
    • Genetische Defekte der Insulinwirkung
    • Andere genetische Syndrome, die mit einem Diabetes assoziiert sein können
    • Seltene Formen eines autoimmun vermittelten Diabetes.
  • Gestationsdiabetes: Erstmals während der Schwangerschaft aufgetretene oder diagnostizierte Glukosetoleranzstörung. Dies schließt ein:
  • Erstmanifestation eines Typ-1-Diabetes
  • Erstmanifestation eines Typ-2-Diabetes
  • Erstmanifestation anderer spezifischer Diabetes-Typen
  • Präkonzeptionell manifester, aber nicht diagnostizierter Diabetes mellitus (Typ 2), vor allem anzunehmen bei Glukosetoleranzstörung bereits im 1. Trimenon.

Vergleich von Typ 1 und Typ 2 (Tabelle) [Bearbeiten]

Typ 1Typ 2
Häufigkeit in Deutschlandetwa 550.000etwa 8 Mio. bekannt (2008), hohe Dunkelziffer
Manifestationsalter (Lebensalter)Kinder und Jugendliche, seltener Erwachsene, aber keine AltersbegrenzungErwachsene (ab etwa 40 Jahre), in den letzten Jahren zunehmend auch junge Erwachsene, sogar Jugendliche
HauptursachenGenetische Prädisposition, Autoimmunprozess
Organisch: Zerstörung der Beta-Zellen
unterschiedlich schwer ausgeprägte Störungen der Insulinwirkung (Insulinresistenz) und der Insulinsekretion - beginnend mit Hyperinsulinismus bis hin zum Sekretionsversagen auf der Grundlage einer genetischen Prädisposition
Auftreten/Beginnakut bis subakutmeist schleichend
SymptomeInsulinmangelsyndrom: Polydipsie (Hyperosmolarität erhöht den Durst), Polyurie (osmotische Diurese bei Überschreiten der Glukose-Nierenschwelle), Gewichtsverlust, Müdigkeit, Ketoazidosehäufig keine Beschwerden, es kommt seltener zu schweren Stoffwechselentgleisungen, aber häufiger zu schweren Makro- und Mikroangiopathien sowie Neuropathien
Körpergewichtnormalgewichtig oder Gewichtsabnahme (bei Insulinmangel ist der Fett- und Glykogenaufbau eingeschränkt)häufig übergewichtig
Insulinsekretionvermindert bis fehlendsubnormal bis hoch, qualitativ immer gestört
Insulinresistenzkeine oder nur geringoft ausgeprägt
Familiäre Häufunggeringhoch (bei eineiigen Zwillingen über 90 %)
HLA-Assoziationvorhandennicht vorhanden
Diabetesassoziierte Antikörperbei Manifestation 90–95 %keine
Stoffwechsellabilzunächst stabil, bei Insulinsekretionsversagen instabil
BehandlungSchulung und Motivation, lebenslange InsulintherapieSchulung und Motivation, regelmäßige Bewegung, angepasste Ernährung, bei Bedarf orale Antidiabetika, bei Bedarf zusätzlich Insulintherapie

 

Stufenplan der medikamentösen Therapie des Typ-2-Diabetes [Bearbeiten]

Nach der S3-Leitlinie: Medikamentöse antihyperglykämische Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 der DDG:[45]
Stufe 1
  • Basistherapie: Schulung und Motivation, Umstellung der Ernährung und des Lebensstils, Gewichtsreduktion, Bewegung.
  • Zielwert: HbA1c kleiner oder gleich 6,5 %, Intervention ab 7 %
Stufe 2Wenn nach drei Monaten die Basistherapie alleine nicht einen HbA1c-Wert von unter 7 % hervorbringen kann, sollte eine medikamentöse Therapie zusätzlich herangezogen werden. Diese richtet sich nach dem Gewicht und der Indikation bzw. Kontraindikation.
Stufe 3Nach drei weiteren Monaten sollte ein zweites orales Antidiabetikum hinzugezogen werden, wenn der HbA1c-Wert immer noch nicht unter 7 % liegt.
Stufe 4Sinkt der HbA1c-Wert nach 3 weiteren Monaten weiterhin nicht unter 7 %, wird eine zusätzliche Gabe von Bedtime-Verzögerungs-Insulin empfohlen. Eine Insulinpumpe kann als letzte Möglichkeit in Betracht kommen.

Orale Antidiabetika [Bearbeiten]

Neue Forschungsansätze [Bearbeiten]

  • Fenretinid, ein Wirkstoff ursprünglich für die Krebstherapie geschaffen, führte in Tierversuchen mit Mäusen dazu, dass das überschüssige Enzym RBP4 über den Urin ausgeschieden wurde. Die behandelten Tiere verloren anschließend ihre Insulinresistenz.

Diabetes mellitus und Schwangerschaft [Bearbeiten]

Formen [Bearbeiten]

Man unterscheidet zwischen einem Diabetes mellitus der Mutter, der schon vor Beginn der Schwangerschaft bestand und dem Diabetes, der im Laufe der Schwangerschaft erstmals festgestellt wird (siehe auch Schwangerschaftsdiabetes).[47][48]
Beim zuvor bekannten Diabetes mellitus ist zur Verhinderung von insbesondere kindlichen Komplikationen eine optimale Stoffwechseleinstellung schon vor Beginn der Schwangerschaft anzustreben. Diabetesbedingte Erkrankungen der Frau sollten zuvor erkannt und behandelt worden sein (z.b. Lasertherapie bei proliferativer diabetischer Retinopahtie). Es kann unter der Schwangerschaft zu einer Zunahme von vorbestehenden Schäden des Auges kommen.
Beim Schwangerschafts- oder Gestationsdiabetes ist die frühzeitige Diagnose wichtig, da es durch zu hohe Blutzuckerwerte zu ernsthaften Erkrankungen des Embryos bzs. Fetus kommen kann.
Charakteristisch für eine unzureichende Diabeteseinstellung in der Schwangerschaft ist eine Makrosomie (übergroßer Fetus). Daher wird vom betreuenden Gynäkologen regelmäßig eine Sonographie des Fetus durchgeführt, wobei insbesondere der kindliche Bauchumfang einen Hinweis auf eine krankhafte Gewichtszunahme geben kann.

Therapie [Bearbeiten]

Beim Diabetes in der Schwangerschaft muss die Blutzuckerregulierung insbesondere im Interesse des Kindes besonders streng erfolgen. Die zu erzielenden mütterlichen Blutglucosewerte in der Schwangerschaft liegen deutlich unterhalb der Werte außerhalb einer Schwangerschaft (Ziel: nüchtern unter 90 mg/dl, 2 Stunden nach einer Mahlzeit unter 140 mg/dl). Es ist in der Schwangerschaft während der Phase der Organogenese des Embryos zu beachten, dass in dieser Phase auch bei einer Nicht-Diabetikerin ein grundsätzlich niedrigerer Blutzuckerwert als während der sonstigen Lebens- und Schwangerschaftsphasen zu messen sein wird. Ein möglicher Grund ist die Gefäßgröße der sich entwickelnden Organe des Embryos. Bei Blutzuckerwerten im Tagesmittel von mehr als 110 mg/dl (6,2 mmol/l) ist mit einer gestörten Organbildung oder unreifen Organen, insbesondere der Lunge des Kindes zu rechnen. Ist dies durch Diät nicht erreichbar, ist eine Insulintherapie notwendig. Orale Antidiabetika sind für Schwangere in Deutschland nicht zugelassen.
In Abhängigkeit vom sonographisch gemessenen kindlichen Bauchumfang kann die Diabetes-Therapie der Mutter gelockert werden (fehlendes oder zu geringes Wachstum) oder muss intensiviert werden (zu schnelle Zunahme des Bauchumfanges).
Eine vorbestehende Hypertonie muss medikamentös weiter behandelt werden. Zum Schutz des Kindes sollte die Medikation überprüft und ggf. geändert werden. Als First-line-Wirkstoff gilt Alpha-Methyldopa, danach Metoprolol oder Dihydralazin.

Diabetes-Diät [Bearbeiten]

Ernährung bei Typ-1-Diabetes [Bearbeiten]

Eine ausgewogene Ernährung besteht laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung aus etwa 52–53 % Kohlenhydraten, 16–17 % Eiweiß und 28–31 % Fett und wird von dieser für alle Menschen, einschließlich der Diabetiker, empfohlen. Der normalgewichtige Typ-1-Diabetiker kann sich prinzipiell normal ernähren, wenn er seinen Blutzuckerspiegel im Griff hat (inklusive Süßigkeiten), doch ist immer eine Anpassung der Insulintherapie notwendig. Von der GMA empfohlene Mengen sind etwa 4 Gramm Kohlenhydrate pro Tag und Kilogramm Körpergewicht. Als Berechnungsgrundlage dienen meist Broteinheiten (eine BE = 12 g Kohlenhydrate). Seltener verwendet wird auch der Begriff Kohlenhydrateinheiten (eine KE = 10 g Kohlenhydrate). Dies soll der schnelleren Berechenbarkeit dienen, hat sich jedoch nicht durchgesetzt, da die Hersteller weiterhin BE angeben. Der Fett- und Eiweißgehalt der Nahrung hat einen deutlichen Einfluss auf die Anstiegsgeschwindigkeit und Dauer der Erhöhung der Blutglukose. Daher muss der Insulin spritzende Diabetiker lernen, die Insulinwirkung auf den Blutzuckerverlauf in Abhängigkeit mit der aufgenommenen Nahrung abzuschätzen.
Die durch intensivierte Insulintherapie behandelten Typ-1-Diabetiker haben die Möglichkeit, selbst über die Zusammensetzung ihrer Ernährung zu entscheiden. Die Broteinheit oder KE wird deshalb heute von den geschulten Typ-1-Diabetikern lediglich zur Berechnung der verzehrten Kohlenhydrate und damit der richtigen Insulindosis verwendet, statt – wie früher – die Berechnung der Mahlzeit im Hinblick auf die Gesamtkalorienmenge. Auch beim Typ-1-Diabetiker mit gut eingestellter Therapie führt die übermäßige Zufuhr von Kalorien zu Übergewicht. Beispiel: Eine Laugenbrezel hat 2 BE und 130 kcal. Eine Butter-Laugenbrezel hat auch nur 2 BE, aber 300 kcal. Überschüssige Kalorien führen auch hier auf Dauer zu Übergewicht.

Ernährung bei Typ-2-Diabetes [Bearbeiten]

Für den Typ-2-Diabetiker gelten die Grundsätze für eine gesunde Ernährung: angepasst an den tatsächlichen Kalorienbedarf, ballaststoffreich, vollwertig, viel frisches Obst und Gemüse, Alkohol in Maßen erlaubt. Erst in Abhängigkeit von Komplikationen (hyperglykämische Stoffwechselentgleisungen, Übergewicht, erhebliche Fettstoffwechselstörungen, deutlich erhöhte Harnsäure, zusätzliche Erkrankungen wie Hypertonie, Durchblutungsstörungen, fortgeschrittene Niereninsuffizienz, Lebererkrankungen u. a.) ergeben sich entsprechend angepasste Ernährungsempfehlungen.[49]

Diätetische Lebensmittel [Bearbeiten]

Spezielle Diabetikerlebensmittel können auf die Entwicklung der Krankheit einen negativen Einfluss haben.[50] Der potentielle Vorteil der reduzierten Kohlenhydratanteile wird durch den erhöhten Anteil an Fetten aufgehoben der sich negativ auf die Gewichtskontrolle auswirken können. Auch die Ersetzung von Haushaltszucker (Saccharose) durch Fruchtzucker (Fructose) in Diabetikerlebensmitteln wird nicht mehr als sinnvolle Maßnahme erachtet. Fruchtzuckers mit dem potentiellen Vorteil des langsameren Blutzuckeranstiegs wird aufgrund anderer gesundheitlicher Risiken als nicht mehr empfehlenswert eingestuft, unter anderem 2009 durch das Bundesinstitut für Risikobewertung.[51] Auch die Fachgesellschaften bemühen sich seit Jahren um ein Verkaufsverbot von Diabetiker-Lebensmitteln.[52] Am 24. September 2010 beschloss der deutsche Bundesrat die Abschaffung der Kennzeichnung als diätetische Lebensmittel.[53] Die Übergangsfrist für den Verkauf von diätetischen Lebensmitteln beträgt zwei Jahre.[53]

Akutkomplikationen [Bearbeiten]

Diabetisches Koma [Bearbeiten]

Das diabetische Koma ist die schwerste hyperglykämische Entgleisung des Diabetes und lebensgefährlich. Bei einem diabetischen Koma können die Blutzuckerwerte insbesondere beim Typ-2-Diabetiker über 1000 mg/dl (56.0 mmol/l) erreichen. Beim Typ-1-Diabetes kommt es schon bei Blutzuckerwerten von über 400 mg/dl über mehrere Stunden zu einer schweren Übersäuerung des Blutes (metabolische Azidose). Ein solches Koma kann z. B. durch Infekte oder bei insulinspritzenden Diabetikern durch fehlerhaftes Insulin (z. B. Lagerung unterhalb des Gefrierpunktes oder über 40 °C) oder technische Defekte wie z. B. Ausfall der Insulinpumpe verursacht werden.

Erniedrigter Blutzucker (Hypoglykämie) [Bearbeiten]

Hauptartikel: Hypoglykämie
Blutzuckersenkende Medikamente wie Sulfonylharnstoffe und Insulin führen bei Überdosierung oder bei einer zu geringen Nahrungsaufnahme zu einem zu niedrigen Blutzuckerspiegel.
Die Symptome einer Hypoglykämie entstehen durch die Unterversorgung mit Glukose sowie durch die hormonellen und nervalen Reaktionen darauf. Sie können sehr individuell variieren, sowohl zwischen den Personen als auch situationsabhängig. Auch die Blutzuckerspiegel, bei denen Symptome verspürt werden, weichen zwischen einzelnen Personen stark voneinander ab. Je nach Schwere der Hypoglykämie reichen die Symptome von leichten Beeinträchtigungen bis zur Bewusstlosigkeit (Schock).
Wiederholte schwere Hypoglykämien haben in einer Beobachtungsstudie bei Typ-2-Diabetikern ein erhöhtes Risiko für die spätere Entwicklung einer Demenz gezeigt. Bei einer schweren Hypoglykämie erhöht sich die Demenzrate um 26 Prozent, bei zwei Episoden von 80 Prozent und bei drei Hypoglykämien verdoppelt sich die Demenzrate fast.[54]
Eine Unterzuckerung wird durch die Aufnahme von schnell resorbierbaren Kohlenhydraten beseitigt, z. B. Traubenzucker (1–2 BE) oder Fruchtsaft (200 ml). Zucker, der in Fett eingehüllt ist (z. B. Schokolade) oder langsam resorbierbare Kohlenhydrate (Vollkornbrot) sind ungeeignet. Bei schweren Hypoglykämien mit Bewusstlosigkeit sollte unverzüglich der Rettungsdienst alarmiert werden.
Einige Typ-1-Diabetiker führen für den Fall einer schweren Hypoglykämie mit Bewusstlosigkeit ein Notfall-Kit mit, das eingewiesenen Laien eine Injektion von Glucagon ermöglicht. Dennoch sollte der Rettungsdienst informiert werden, da die Dauer bis zur Erholung unsicher ist.
Hunde können offenbar Unterzuckerung ihrer Halter erspüren. Es gibt zahlreiche Berichte von Diabetikern, die von ihren Hunden durch Bellen in der Nacht geweckt wurden, wenn sie an Unterzuckerung litten. Vermutlich kann rund ein Drittel aller Hunde eine Unterzuckerung erspüren.[55][56] [57]

Missverständliche Symptome [Bearbeiten]

Sowohl eine Über- wie auch eine Unterzuckerung kann im Alltag von den Mitmenschen falsch interpretiert werden.
  • Im Falle einer Ketoazidose kann Aceton in der Ausatemluft enthalten sein. Das kann mit Alkoholgeruch verwechselt werden.
  • Die Symptome einer Hypoglykämie wie Torkeln, Benommenheit, Sprechstörungen und Aggressivität können als Alkoholisierung oder Drogeneinfluss fehlinterpretiert werden.
Aufgrund dieser Missverständnisse können lebensnotwendige Hilfsmaßnahmen unterbleiben.

Begleit- und Folgeerkrankungen [Bearbeiten]

Diabetes Mellitus begünstigt weitere Erkrankungen, die als Folge des Diabetes auftreten können. Der Grund für diese Erkrankungen liegt häufig in folgenden Ursachen:

  1. Qualität der Stoffwechseleinstellung, lang anhaltend zu hohe Blutzuckerwerte oder häufige starke Hypoglykämien.
  2. Langfristig erhöhter Insulinspiegel.
Begleitend zum Diabetes Typ 1 treten häufig weitere Autoimmunerkrankungen auf.[58]
Der Gesundheitsbericht Diabetes 2007[17] gibt einen Überblick über die Häufigkeit des Auftretens von Begleit- und Folgekrankheiten bei 120.000 betreuten Typ-2-DiabetikerInnen:
Grundlage sind dauerhafte Veränderungen strukturbildender Eiweiße und negative Effekte von Reparaturvorgängen, z. B. der ungeordneten Bildung neuer Blutgefäße oder Unterdrückung der Neubildung von Ersatzblutgefäßen bei Beschädigungen.
Auch Tuberkulose scheint sich unter Diabetes häufiger zu manifestieren.

Schädigung der Blutgefäße [Bearbeiten]

Schädigung der kleinen Blutgefäße [Bearbeiten]

Bei der Mikroangiopathie kommt es zu Durchblutungsstörungen der kleinen arteriellen Blutgefäße, wodurch verschiedene Organe geschädigt werden können. Im Einzelnen sind dies die Augen, speziell die Netzhaut (diabetische Netzhauterkrankung), die Nieren (diabetische Nephropathie) und die peripheren Nerven (Neuropathie).

Schädigung der großen Blutgefäße [Bearbeiten]

Bei der Makroangiopathie sind die großen Arterien betroffen, hierzu gehören insbesondere die Mönckeberg-Mediaverkalkung, die Koronare Herzkrankheit sowie die periphere Arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)).
Es kommt durch die Bildung von Ablagerungen und Verkalkungen in den Gefäßwänden der großen Blutgefäße zu Durchblutungsstörungen und Gefäßwandversteifung. Bei gleichzeitiger Polyneuropathie können Schmerzen trotz kritischer Durchblutung ausbleiben. Die möglichen Folgen der Durchblutungsstörungen sind eine (Schaufensterkrankheit), Herzinfarkt und Schlaganfall.

Nervenschädigung [Bearbeiten]

Periphere Polyneuropathie [Bearbeiten]

Nervenschädigungen wie die Polyneuropathie betreffen etwa die Hälfte der Diabetiker. Insbesondere lange und feine Nervenfasern werden zerstört. Dies führt zur Verminderung der Empfindung in körperfernen Partien, insbesondere den Füßen (Schmerz, Wärme, Berührung). Die diabetische Polyneuropathie kann sich nicht nur in einem Verlust der Sensibilität äußern, sondern auch in Missempfindungen (Schmerzen, Brennen, Allodynie). Bei fortgeschrittener Erkrankung kommt es auch zu einem von den Füßen aufsteigenden Verlust der Muskelkraft, der sich typischerweise zunächst in einer Schwäche der Zehenhebung und -senkung äußert und später in einer Schwäche der Fußhebung und -senkung.
Die diabetische Polyneuropathie ist neben der Durchblutungsstörung die Hauptursache des Diabetischen Fußsyndroms. Sie ist für 50–75 % der nicht traumatischen Fußamputationen verantwortlich.

Autonome Neuropathie [Bearbeiten]

Neben der Erkrankung der sensiblen und motorischen Nervenendigungen können auch vegetative Nervenfasern betroffen sein, die beispielsweise die Gefäßweite steuern, die Herzfrequenz, die Blasen- und Mastdarmfunktion, die Sexualfunktionen, siehe Autonome Neuropathie.

Diabetisches Fußsyndrom [Bearbeiten]

Hauptsymptom des Diabetischen Fußsyndroms sind schlecht heilende Wunden am Unterschenkel oder Fuß. Da die Polyneuropathie einen angemessenen Schmerz verhindert, werden kleinste Verletzungen oft nicht wahrgenommen. Das Risiko ist bei gleichzeitiger Durchblutungsstörung besonders hoch. Tägliche Fußinspektion und gute Fußpflege sind sehr wichtig und können Schäden verhindern helfen. Bei ausgeprägten Fehlstellungen der Füße, bei schweren Nervenstörungen und vor allem, wenn bereits einmal Verletzungen aufgetreten sind, ist eine medizinische Fußpflege (Podologie) angezeigt. Wird sie vom Arzt verordnet, übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten.

Amputationen [Bearbeiten]

In Deutschland werden über 60.000 Amputationen pro Jahr durchgeführt. Damit liegt Deutschland europaweit im oberen Drittel. Ungefähr 70 % dieser Amputationen werden bei Diabetikern durchgeführt. Bei etwa 30.000 Patienten ist der Diabetes mellitus die Hauptursache der Amputation.[59]
Laut dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Angiologie, Karl-Ludwig Schulte, sei jede zweite Amputation auf Grund von Diabetes in Deutschland überflüssig. Deutschland habe im Jahr 2008 eine deutlich höhere Amputationsrate als Länder wie Finnland, Dänemark, Niederlande und Großbritannien. Zudem sei Deutschland das einzige Land, in dem diese Rate in den letzten Jahren gestiegen sei, während in anderen Ländern die Quote sänke.[60]
Ursache des hohen Amputationsrisikos: Beim schlecht eingestellten Diabetes mellitus kommt es langfristig zur Anlagerung von Zuckermolekülen an sämtliche Strukturen des Körpers. In den Beinen führt dies zu Schädigungen der großen und kleinen Blutgefäße – Makro- und Mikroangiopathie – und der Nerven, der sogenannten Neuropathie. Die Betroffenen erkennen Verletzungen an den Füßen erst spät, die zudem wegen der Durchblutungsstörungen nur langsam heilen.

Diabetische neuropathische Osteoarthropathie (DNOAP) [Bearbeiten]

Bei dieser, auch Charcotfuß genannten Erkrankung, handelt es sich um eine nicht infektiöse, entzündliche Zerstörung von Knochen und Gelenken. Sie stellt eine Sonderform des diabetischen Fußsyndroms dar.[13]

Schultersteife, Frozen Shoulder [Bearbeiten]

An primäre Schultersteife (Adhäsive Kapsulitis) erkranken 10–20 % der an Diabetes Erkrankten,[61] bei Insulinpflicht sogar 36 %.[62] Einen Grund für das gehäufte Auftreten bei Diabetes ist nicht bekannt. Die Häufigkeit der Schultersteife bei Patienten ohne Diabetes liegt bei zwei bis fünf Prozent.[63]

Augenschäden [Bearbeiten]

Bei der Diabetischen Retinopathie kommt es zu Veränderungen der kleinen Blutgefäße der Augennetzhaut. Die Folgen reichen von Minderung der Sehschärfe über Einschränkung des Gesichtsfeldes bis zur Erblindung.

Nierenschädigung [Bearbeiten]

Das Spektrum der Diabetischen Nephropathie reicht von leichter Eiweißausscheidung bis zum Nierenversagen mit Dialyseabhängigkeit. Das Risiko einer Nephropathie steigt deutlich mit Zunahme des Blutdrucks. Die Nephropathie kann ihrerseits einen „hohen Blutdruck“ (arterielle Hypertonie) verstärken.

Fettstoffwechselstörungen [Bearbeiten]

Durch die Beeinträchtigung des Fettstoffwechsels kommt es zu einem verstärkten Abbau der körpereigenen Fettbestände (einer verstärkten Lipolyse) und Neubildung der Triglyceride in den Leberzellen. Dies führt zu einer Fettleber (Steatosis hepatis).

Mund- und Zahnfleischprobleme [Bearbeiten]

Diabetiker haben ein bis zu 3,5-fach höheres Risiko, an Parodontitis zu erkranken, als Gesunde. Eine Vorstufe ist die Gingivitis, die bei Diabetikern auch häufiger auftritt, genauso wie Zahnfleischabszesse, Mundwinkelrhagaden und Wundheilungsstörungen nach Zahnbehandlungen.[64] Die Ursache für diese Probleme liegt in der anderen Stoffwechsellage und in Durchblutungsstörungen im Zahnfleisch.

Krebs [Bearbeiten]

Die Analyse von sechs großen Studien mit 549,944 Personen ergab, dass an Diabetes Erkrankte gegenüber Nichtdiabetikern ein erhöhtes Risiko haben, an Krebs zu erkranken oder zu sterben. Das Krebsrisiko steigt mit der Höhe der Blutzuckerwerte an, bei Männern um ca. 20 %, bei Frauen um ca. 30 %. Besonders häufig war bei Männern die Leber, die Gallenblase und die Atemwege, sowie Schilddrüse und Darm betroffen, bei Frauen die Bauchspeicheldrüse, die Harnblase, die Gebärmutter und der Magen.[65]

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